Verfasser: Robin Laumann, August 2008
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
Kindheit und Jugend in Deutschland

Am 15. Mai 1914 wurde ich, Jaacov Halberstadt, als fünftes von sieben Kindern in Niedermockstadt (Oberhessen) als Sohn von Gerson und Bertha Halberstadt (geb. Rothschild) geboren.

Mein Zwillingsbruder, Leopold, wurde eine Stunde vor mir geboren und mein älterer Bruder Erwin, der damals viereinhalb Jahre alt war, bekam den Auftrag, die nächsten Verwandten, welche in der Nachbarschaft lebten, von der Geburt zu informieren. Als man ihn eine Stunde später, nach meiner Geburt, nochmals bat, zu Onkel und Tante zu gehen, um auch meine Geburt zu melden, sagte er: „Jetzt warte ich aber!“ – Er dachte, es würde so weitergehen…
Meine Vorfahren hatten schon seit Generationen in diesem kleinen hessischen Dorf gelebt, welches zur Zeit meiner Kindheit etwa 750 Einwohner beherbergte. Die jüdische Gemeinde des Dorfes zählte zehn bis zwölf Familien.
Meine Eltern betrieben ein Geschäft für Haushaltsartikel, Schuhmacherbedarf und Eisenwaren. Mein Vater fuhr mit Pferd und Pritschenwagen in die umliegenden Dörfer, um die Kunden mit den benötigten Waren zu beliefern. Wenn der Vater auswärts war, führte meine Mutter das Geschäft. Außer dem Pferd hatten wir einige Ziegen und Hühner für die Produktion von Milch und Eiern.

Außerdem hatten wir, wie auch alle anderen Dorfbewohner, ein paar Äcker und Gärten, in denen wir Obst und Gemüse züchteten. An der Landstraße wuchsen zahlreiche Äpfelbäume und im Herbst wurden die reifen Früchte an die Dorfbewohner verkauft. Wir lagerten die eingemachten Früchte ebenfalls im Keller, genauso wie den Jahresbedarf an Kartoffeln und Sauerkraut. Ein Teil der Früchte wurde auch zu Marmelade und Wein weiterverarbeitet.
Unser Wohnhaus wurde 1909 errichtet, das Baujahr war speziell im Giebel ausgerichtet. Mein Großvater erlaubte nicht, dass am Schabbat daran gebaut wurde, aber zahlte den Arbeitern trotzdem den vollen Lohn. Außer den Wohnungen unserer Familie und der meines Onkels befand sich noch ein Verkaufsladen im Gebäude. In der einen Hälfte verkauften meine Eltern Haushaltsartikel, die andere Hälfte nutzte mein Onkel zum Verkauf von Manufakturwaren und Lebensmitteln.
In jeder Wohnung gab es einen Wasserhahn in der Küche, zum Waschen am Morgen stand im Schlafzimmer ein Wasserkrug. Das einzige Klosett, welches sich im Hof befand, funktionierte ohne Wasserspülung oder gar Licht, auch Toilettenpapier gab es keines, welches durch Zeitungspapier ersetzt wurde. Das Klosett wurde mittels einer Pumpe von Zeit zu Zeit in ein großes Fass entleert, später wiederum wurde dies zum Düngen der Felder genutzt.
Telefone gab es bei uns im Dorf nur wenige. Wir besaßen eins, das wir allerdings nur benutzen konnten, wenn das Postamt geöffnet war.
Es kam jedoch vor, dass eine Hebamme, wenn sie eine Geburt in der kommenden Nacht vermutete, zu uns kam, damit wir eine Nachtverbindung anmeldeten, um den Doktor, der etwa 4km entfernt wohnte, zu bestellen.
Das Verhältnis zwischen den Dorfbewohnern jüdischen Glaubens und denen christlichen Glaubens war sehr gut. Die jüdischen Geschäfte im Dorf, die Metzgerei, die Bäckerei und auch unser Geschäft, waren am Schabbat geschlossen, weshalb es oft vorkam, dass, wenn wir am Schabbat draußen spazieren gingen, wir gefragt wurden, wann der Schabbat enden und die Geschäfte meiner Familie wieder öffnen würden. Zum Warmhalten der Speisen am Schabbat hatten wir einen speziellen Schabbatofen aus Blech, den wir und die Familie meines Onkels Josef, der im selben Haus wohnte, benutzten, mit unterem dem Fach für die Holzkohle, die wir am Freitag Nachmittag anzündeten und die dann den ganzen Schabbat glühte. Eine Nachbarsfrau kam am Freitag Abend zu uns, um das elektrische Licht auszulöschen sowie im Winter den Heizofen am Laufen zu halten. Mir ist unverständlich, dass ihr Sohn Emil, ein Klassenkamerad von mir, sich in der Folgezeit zu einem fanatischen Nazi entwickelte.

Mein Onkel, der Brot und Feingebäck buk, stellte zu Pessach Mazen her, welches auch die nichtjüdischen Ortsanwohner gerne aßen. Daher packte er es für sie in 500gr-Pakete ab, während er es für die Juden in 5- oder 10kg-Pakete abpackte. Außer meinem Onkel und seinem Sohn waren alle anderen Arbeiter in der Mazenbäckerei christliche Ortsbewohner.

Das gute Verhältnis zwischen jüdischen und christlichen Deutschen wurde mit Hitlers Machtübernahme immer schlechter. In den Jahren meiner Kindheit erinnere ich mich an eine Herzlichkeit und Vertrautheit innerhalb des Dorfes; es war belanglos, ob man Christ oder Jude war. Mit der Zeit wurde jedoch Misstrauen, Abneigung und Meidung vorherrschend.

Zur Schule gingen wir auch am Schabbat, wir waren jedoch vom Schreiben befreit. An den jüdischen Feiertagen waren wir vom Unterricht gänzlich befreit. In unserem Dorf gab es zwei Schulen, eine kleine, die als Unterrichtssaal für vier Klassen (gleichzeitig) diente, doch ebenfalls als Lehrerwohnung, Rathaus und Standesamt, und eine große Schule. Mein Lieblingsfach in der Schule war Rechnen und ich erinnere mich, einmal eine Aufgabe gelöst zu haben, an der alle anderen Schüler gescheitert waren. Als Strafe mussten meine Mitschüler, unter denen auch mein Bruder war, nachmittags zum Nachsitzen in die Schule kommen. Ich war besonders froh an diesem Tag zu Hause bleiben zu können, weil meine Eltern zu dieser Zeit ein viertel Rind erstanden hatten, welches der hiesige Metzger an jenem Nachmittag nach jüdischer Tradition zu koscherer Wurst verarbeitet hatte.

Einige Tage vor meiner Bar Mizwah und der meines Bruders musste ein französisches Flugzeug in der Nähe unseres Dorfes notlanden und als wir davon hörten, machten mein Bruder Leopold und ich uns auf zum Schauplatz des Geschehens. Dort angekommen, entwickelte sich ein leichter Regen zu einem wahren Unwetter mit Blitz und Donner und wir rannten gen Heim. Die Hosen, welche wir trugen, waren von unserer Mutter gefärbt worden, weshalb wir, bei der Ankunft, mit blauer Farbe bedeckt waren.
Unsere Mutter schimpfte uns aus, der Vater sagte später, als er von der Arbeit heimkam, lediglich: „Da wäre ich auch gerne dabei gewesen.“
Das Verhältnis zu meinem Vater war von seiner Strenge geprägt. Wir waren sechs Kinder und jedes hatte seinen bestimmten Platz am Essenstisch. Als ich eines Tages darauf bestand, an einem anderen Platz zu sitzen, sperrte mich mein Vater in den Keller. Nach dem Essen führte er mich in das Esszimmer und sagte: „Jetzt kannst Du dich hinsetzen, wo Du möchtest!“ Trotzdem war er sehr herzlich und wir haben alle gemerkt, dass er uns liebte.
Eine weitere Kindheitserinnerung habe ich an die Zeit der Inflation 1923, die mir sehr stark im Gedächtnis geblieben ist. Ich erinnere mich, dass wir das Geld in einem Wäschekorb aufbewahrten. Man musste so schnell wie möglich das Geld ausgeben, da das Geld, was heute für eine Kuh reichen könnte in der nächsten Woche vielleicht noch nicht mal für ein Brot langen würde. Im Gegensatz dazu, ist mir die Weltwirtschaftskrise 1929 weniger in der Erinnerung geblieben, sie hat geringeren Eindruck hinterlassen.

Plätze des jüdischen Lebens gab es in Niedermockstadt einige. Es gab eine Synagoge, einen jüdischen Friedhof und eine Mikve (Frauenbad), welche sich in unserem Hof befand und in allen jüdischen Gemeinden des Umkreises bekannt war. Dieses Gebäude steht als Fachwerkbau noch immer unter Denkmalschutz. Mein Vater begab sich am Jom Kippur nach dem Einbruch der Nacht in die Frauenabteilung der Synagoge, um mit ihnen das Havtalah-Gebet zu beten. Danach blieben die Männer in der Synagoge bis zum Abendgebet, während die Frauen schon zurückkehrten, um das Feuer anzuzünden, damit bis zum Ende des Abendgebetes das Kaffeewasser schon kochte und das Essen bereits erwärmt war.

Meine Mutter Bertha verlor bereits im Alter von drei Jahren ihre Mutter und im Alter von achtzehn Jahren auch ihren Vater. Ihre Jugend bis zu ihrer Vermählung verbrachte sie bei der Familie Simon Grünebaum in Staden, etwa 8km entfernt von ihrem Geburtsort Höchst an der Nidder und etwa 2km von ihrem zukünftigen Wohnort Niedermockstadt. In ihrem Geburtsort Höchst befindet sich in der Nähe des jüdischen Friedhofs, auf dem christlichen Friedhof, ein Gedenkstein für die im Deutsch-Französischen-Krieg 1870/71 teilgenommenen Dorfbewohner, u.a. auch mein Großvater Ephraim Rothschild.

Mein Großvater Liebmann-Halberstadt heiratete in dritter Ehe im Juli 1873 meine Großmutter, ihnen wurden fünf Kindern geboren, von denen jedoch zwei bereits in frühem Alter verstarben. Mein Vater und seine zwei Brüder lebten mit ihrer Familie seit ihrer Geburt in Niedermockstadt bis 1938, als er durch die Nazis gezwungen wurde, das Dorf zu verlassen. Im Ersten Weltkrieg hatten sie noch für Deutschland gekämpft (ich besitze noch ein Foto der drei Brüder in Uniform); mein Onkel Josef, der an der Westfront gekämpft hatte, hatte sogar zahlreiche Orden und das Verdienstkreuz bekommen – nun waren sie Feinde des Landes. Meine Eltern flüchteten zunächst nach Frankfurt, später wurden sie in den Osten deportiert (über ihr weiteres Schicksal konnten wir trotz großer Nachforschungen nicht mehr erfahren), sodass ich der einzige Angehörige meiner Familie war, der sich zur Zeit der Pogromnacht am 9. November 1938 nicht mehr in Deutschland befand.

Mein Vater und mein Bruder Erwin wurden in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, mein Bruder Leopold war im KZ Dachau interniert. Mein Vater kam bald frei und die Misrachi-Organisation nahm meinen Bruder Erwin in ein Hachscharah-Programm (Hachscharah: Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina) auf und schickte ihn nach England. So kam auch er frei…
Mein Vater bat mich daraufhin, 100 Palästinapfund auf eine Bank in Siam (heutiges Thailand) zu überweisen, um Leopold aus Dachau befreien zu können. Dieser bekam nämlich nun ein Visum (für Siam) und es war ihm erlaubt Dachau zu verlassen und nach Siam zu reisen, was er jedoch nie beabsichtigt hatte. Vielmehr reiste er per Schiff illegal nach Palästina, nach der langen und beschwerlichen Schifffahrt wurde er allerdings von den Engländern ein halbes Jahr in Atlit bei Haifa festgehalten. Nach drei Monaten bekam ich von der Barclay’s Bank die 100 Palästinapfund abzüglich Spesen zurück, da mein Bruder das Visum nicht wahrgenommen hatte.
Mein Vater kehrte nach seiner Freilassung nach Niedermockstadt zurück, flüchtete mitsamt meiner Mutter zunächst nach Frankfurt, doch beide wurden später in den Osten deportiert. Während mein Vater auf der Flucht war, rettete er eine Torarolle der Gemeinde Niedermockstadts. Im Gegensatz zur eigenen Rettung, gelang die Rettung der Torarolle…In Frankfurt übergab er sie Freunden, welche sie zu mir nach Palästina transportierten (ich zahlte etwa ein Drittel meines Monatsgehalts für den Zoll). Heute befindet sich die Torarolle in der Synagoge in Efrat, wo heute eine Enkelin von mir lebt.
Nach dem Absolvieren der Schule (acht Jahre), blieb ich noch ein Jahr in meinem Heimatort. An Beschäftigung fehlte es mir nie, ich arbeitete zumeist im Garten oder hackte Holz für den Ofen. Im Winter 1928/29, welcher sehr stark war, litt mein Vater an einem stark eiternden Furunkel im Nacken woraufhin unser Doktor ihn operativ behandelte, ihm Ruhe verordnete und ihm verbot, das Haus zu verlassen. Daher war es meine Aufgabe die Kunden unseres Geschäfts mit dem Fuhrwerk oder dem Schlitten, so gut es ging zu beliefern.

Im Mai 1929, einen Tag nach Pessach, begann ich meine Lehre im Gemischtwarengeschäft Münz in Altengronau. Die Entfernung zu meinem Wohnort Niedermockstadt dürfte etwa 50km betragen haben. In diesem Geschäft konnte man alles Lebensnotwendige kaufen, mal abgesehen von Schuhen: Kleidung, Haushaltsartikel, Lebensmittel, Farben, Öle, Herde, Öfen, Nähmaschinen, Fahrräder…und sogar Sargbeschläge.
In dem gleichen Gebäude befand sich eine Synagoge und auch ein Wohnraum, in dem wir Arbeiter, zwei Lehrlinge und ein Verkäufer, wohnten. Das Geschäft öffnete meist um 7 Uhr und schloss etwa um 22 Uhr, eine Mittagspause existierte nicht. Nur am Schabbat öffnete das Geschäft erst nach Schabbatende und schloss um 24 Uhr. Die Mahlzeiten nahm ich mit der Familie eines meiner Arbeitgeber ein. Mein Verdienst beschränkte sich auf Kost und Logis – sogar die Wäsche schickte ich zum Waschen nach Hause – doch zu Weihnachten wurden wir beschenkt. Urlaub bekamen wir keinen, aber an den jüdischen Feiertagen hatten wir die Möglichkeit, zu unseren Familien nach Hause zu fahren.
Da man laut Gesetz nach den acht Pflichtschuljahren noch drei Jahre zur Abendschule gehen musste, besuchte ich wöchentlich die Abendschule im Ort. Meine Arbeitgeber fuhren in den umliegenden Gemeinden umher, um Bestellungen der Kunden aufzunehmen und die entsprechenden Bezahlungen einzukassieren. In den einzelnen Dörfern hatte die Firma Arbeiter, welche die Kunden mit ihren Bestellungen belieferten.
Inventarische Tätigkeiten und das Verpacken der Bestellungen wurden abends oder sonntags durchgeführt, während das Geschäft ruhte.
Nach Ende meiner Lehrzeit begann ich als Verkäufer und Reisender bei der Firma Rosenthal in Lohrhaupten, nähe Altengronau, zu arbeiten.
Ein Großteil der Kunden war es gewohnt, die Rechnungen in Raten zu bezahlen. Nach der Machtübertragung an Hitler 1933 wurde der Inhaber der Bank der Firma Rosenthal zu einem großen Nazi und kündigte die Zusammenarbeit mit der Firma. Zu jener Zeit lag meine Hauptbetätigung nicht im Verkauf, sondern in der Eintreibung bislang unbezahlter Ratenzahlungen; eine Arbeit, für die ich anscheinend sehr gut geeignet war, denn Herr Rosenthal war äußerst zufrieden mit mir.
Herrn Rosenthal gelang es noch, Deutschland mit seiner Familie rechtzeitig zu verlassen, er arbeitete im Folgenden jahrelang bei Ata, einer Textilfabrik in Haifa.
Nun war ich arbeitslos und musste mich jede Woche beim Arbeitsamt melden. Eines Tages bekam ich die Meldung, dass ich von nun an bei der Flussbettregulierung der Nidda zu helfen habe. Unter den 500 Arbeitern war ich der einzige Jude. Ein Nazi begrüßte mich mit den Worten: „Ganz recht, dass der Jud’ auch arbeiten muss!“ Meine Arbeitgeber, die Gebrüder Schreiber, waren mir sehr zugetan und nahmen mich in gewissem Maße in ihren Schutz. Da die Arbeit Notstandsarbeit war, wurde nur von montags bis freitags gearbeitet. Wenn es jedoch unter der Woche regnete, wurde auch am Schabbat gearbeitet, ich jedoch ging am Schabbat nie zur Arbeit. Daraufhin wurden Beschwerden über mein Ausbleiben hervorgebracht, die Herr Schreiber allerdings abwies. Nach einiger Zeit mussten die Gebrüder Schreiber, auf behördliche Anweisung hin, einen Teil ihrer Arbeiter entlassen. Mir eröffnete man hingegen, dass meine Arbeitgeber mit mir sehr zufrieden seien und ich bis zum Ende der Flussbettregulierung dort beschäftigt werden würde. Das führte zu erneuten Beschwerden. Einige, und speziell der Nazi, welcher anfangs noch froh darüber gewesen war, dass auch ich arbeiten musste, drohten, dass, wenn ich weiterhin beschäftigt würde, ein Nazitrupp am Montag an der Baustelle zu erwarten sei. Die Gebrüder Schreiber mussten sich diesem Druck beugen und ich musste mich daraufhin erneut nach einer Arbeitsstelle umsehen. Für kurze Zeit arbeitete ich bei meinem Onkel Elias in der Mazenbäckerei. Dieser flüchtete später mitsamt seiner Frau und meinen Eltern nach Frankfurt und auch diese wurde in den Osten deportiert, um genauer zu sein, nach Riga, wo Elias und seine Frau ermordet wurden. Meinem Onkel Josef hingegen gelang es mit seiner Frau, Deutschland rechtzeitig zu verlassen. Sie verbrachten ihre letzten Jahre mit ihrem Sohn im Kibbuz Sfaim, welches sich in der Nähe Haifas befindet.

Vorbereitung und Ausreise nach Palästina

Ich selber wurde Mitglied bei den Chaluz (Pionieren) und begann im Juli 1934 mit meiner Hachscharah bei einem Landwirt an der Saargrenze.
Erst als ich arbeitslos war, hatte ich das erste Mal den Traum Deutschland zu verlassen und nach Palästina auszuwandern. Die Hachscharah, die Vorbereitung auf die Auswanderung nach Erez Israel, ist im Wesentlichen eine landwirtschaftliche Ausbildung, welche zwei Jahre dauert. Man erzählte mir, dass man, um Erez Israel als Pionier zu betreten, Schaftstiefel benötige.
Als ich eines Tages, im Januar 1935, auf dem Rückweg war, meine – speziell für die Auswanderung gekauften – Schaftstiefel trug und den Verband der Juden Hessens in Mainz zu einer Vorsprache besuchte, wurde ich sehr unhöflich empfangen und, nachdem ich mich vorgestellt hatte, entschuldigte man sich mit den Worten: „Ich dachte schon, Sie wären ein SA-Mann!“
1935 militarisierte die deutsche Regierung die deutsche Gesellschaft mit einem weiteren Verstoß gegen den Versailler Vertrag, nämlich mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht und dem Aufbau der Wehrmacht. Zuerst wurden die Jahrgänge 1914-15 mobilisiert, daher bekam auch ich in diesem Jahr die Aufforderung mich bei dem Bürgermeister Niedermockstadts Ulrich zu melden. Er empfahl mir ein Schreiben des Kreisamtes Büdingen zu unterschreiben, worauf ich auf die Einziehung zum Heeresdienst verzichte. Zum Einen wusste er, dass ich beabsichtigte, nach Palästina zu emigrieren, zum Anderen meinte er, dass ich als Jude in der Armee einen sehr schweren Stand haben würde und als ehemaliger Schulfreund meines Vaters riet er mir zur Unterschrift des Dokuments. Kurz darauf bestellte man mich zwecks medizinischer Untersuchung zum Kreisarzt Büdingen.

Da ich meine Hachscharah fortsetzen wollte, versetzte man mich nach Hannover, wo ich als Gärtner und in einem Altenheim arbeitete.
Nach kurzer Zeit bekam ich einen Gestellungsbefehl und musste mich zu einem bestimmten Datum in der dortigen Turnhalle melden. Dort sollten wir gemustert werden. Von den etwa 1000 Personen, die sich in der Turnhalle befanden, war ich, ungefähr Nummer 400, der Erste, der die freiwillige Heranziehung zum Heer verweigerte. Das war mir sehr unangenehm. Ich begründete dies mit der Tatsache, dass ich Volljude sei. Mir wurde auferlegt, dass ich Geburtsurkunde und Heiratsurkunde meiner Eltern innerhalb von acht Tagen vorzulegen habe. Sobald die Frist verstrichen war, bekam ich darüber Meldung vom Wehrbezirkskommando Hannover und die Ankündigung, dass falls ich eine weitere Frist von drei Tagen verstreichen lassen sollte, ich mich automatisch im Heer befinden würde. Noch am selben Tag ging ich mit einem Schreiben des Bürgermeisters Niedermockstadts, welches bezeugte, dass ich mich einer ärztlichen Untersuchung beim Kreisarzt Büdingen unterzogen hatte, zum Wehrbezirkskommando. Dennoch wurde ich schroff empfangen und mit den Worten „Hier geht’s nicht jüdisch zu“ wurde das Schreiben zur Seite gelegt. Außerdem bekam ich nochmals die Warnung, die verlängerte Frist ja nicht verstreichen zu lassen.

Nachdem der Beamte das Büro verlassen hatte, fragte mich sein Kollege nach meinem Beruf. Als ich ihm sagte, dass ich Gärtner sei, sagte er: „Sie glauben gar nicht, wie viele Plantagen es in Palästina gibt.“ Ich erwiderte, dass ich nach Palästina ausreisen zu beabsichtige und diese Ausbildung dafür erforderlich sei, woraufhin er wiederum antwortete, dass dies der einzig richtige Weg sei, da ich in Deutschland keine Zukunft mehr habe.

Als ich die Nachricht eines Zertifikats für Palästina bekam, begab ich mich ein weiteres Mal zum Wehrbezirkskommando Hannover mit der Absicht zum Wehrbezirkskommando Büdingen überwiesen zu werden. Als man mich nach dem Datum meiner Ausreise fragte und ich antwortete, dass diese in drei Wochen stattfinden würde, bot jener Beamte mir an, mir einen einjährigen Urlaubsschein auszustellen und ihn direkt an das Auswärtige Amt in Berlin zu schicken. Da ich jedoch beabsichtigte, Hannover am nächsten Tag zu verlassen und nur der Leiter des Kommandos, welcher zur Zeit nicht im Amt war, den Urlaubsschein unterschreiben konnte, versprach er mir, zu versuchen, den Oberst zu erreichen und bat mich, nach vier Uhr noch mal wiederzukommen, wenn das Büro geschlossen sei. Er würde mich dennoch empfangen und machte mich außerdem auf einen Nebeneingang aufmerksam, welchen ich als einzigen zu jener Zeit noch benutzen könne. Am Nachmittag erhielt ich den gewünschten Urlaubsschein, sowie einen Militärpass. Da diese sehr selten in Israel sind, befinden die Kopien derselben sich nun in Yad Vashem.

Am 27. August 1936 verabschiedete ich mich von meinen Eltern, konnte mir jedoch nicht vorstellen, dass dies ein Abschied für immer sein würde. Wir waren ein großer Chaluz-Transport und deshalb gab es einen direkten Zug von Berlin bis in den Hafen von Triest. Unser Schiff, namens Tel-Aviv, war in Haifa registriert und man erklärte uns, dass wir uns daher mit dem Betreten des Schiffs auf palästinensischem Boden befänden.
Man verteilte uns Magen David sowie blau-weiße Fähnchen; da viele Eltern ihre Kinder nach Triest begleitet hatten, winkten wir uns beim Auslaufen am 28. August 1936 gegenseitig zu und die Schiffskapelle spielte „Anu olim arza“ (Wir steigen auf in unser Land).

Ankunft und erste Orientierung in Palästina

Am 03. September 1936 landeten wir in Haifa und verbrachten dort im Beit Olim noch einige Tage, die Nächte verbrachten wir im Zelt. Die Zeit unserer Ankunft war gleichzeitig die Zeit der Weintraubenernte und einer meiner Chawärim beabsichtigte, von einem der Verkäufer Weintrauben zu erwerben. Als er den Verkäufer bat, ihm ein Pfund der Früchte zu geben, wurde dieser jedoch sehr wütend und drohte ihm sogar. Zu jener Zeit wurde Gewicht in Unzen (eine Unze=450gr) gemessen, der Verkäufer dachte daher, dass mein Chawär Weintrauben für ein Palästinapfund kaufen und sich über ihn lustig machen wolle, da nicht einmal sein gesamter Bestand hatte diesen Wert.
Mein Ziel und Traum war es zu jener Zeit natürlich, auf dem Feld in einem Kibbuz zu arbeiten. Weitreichende Pläne hatte ich zwar noch nicht, doch zunächst war mein Weg klar bestimmt.

Von Haifa fuhren wir mit dem Zug nach Jerusalem. Da die Gleise bei Rosch HaAjin gesprengt waren, mussten wir den Rest der Reise per Autobus fortsetzen. Unser erstes Ziel war der Kibbuz Ramat Rahel im Süden Jerusalems. Ich half zunächst bei Kanalisationsarbeiten, arbeitete dann auf dem Feld und schließlich im Hauptwerk der Pottascheproduktion am Toten Meer.
Ich verließ den Kibbuz aus verschiedenen Gründen und arbeitete ab dem 01. März 1937 im Kuhstall der Familie Gevner in Atarot bei Jerusalem. Die Arbeit begann um 5 Uhr morgens mit dem Füttern und Melken der Tiere, das letzte Mal molken wir die Tiere um 22 Uhr. Ich erhielt neben Kost und Logis ein Pfund Monatslohn, womit ich sehr zufrieden war.

Als erstes kaufte ich mir für 70 Piaster (100 Piaster = 1 Pfund) einen gebrauchten Schrank, der sich auch heute noch in meinem Besitz befindet. Bei der Schmirah (Wache) während der Nacht fiel mir auf, dass im Haus der Familie Strauß in Atarot ständig eine Petroleumlampe leuchtete. Ich erfuhr, dass diese Lampe für die Kühlung des Kühlschranks der Familie verantwortlich war. Dies war eine Attraktion des Dorfes!

Falls man tagsüber nach Jerusalem fahren wollte, konnte man den arabischen Bus aus Ramallah nehmen. Außerdem konnte man den Bus 17 von Atarot nach Jerusalem benutzen, welcher zweimal täglich fuhr und auch landwirtschaftliche Produkte beförderte. In Atarot gab es auch einen Flugplatz, der jedoch nur vom High Commissioner benutzt wurde; heute ist der Flugplatz nicht mehr in Gebrauch.

Nach kurzer Zeit in Atarot bekam ich eine Hautkrankheit, die Tiere hatten mich angesteckt. Mein Arbeitgeber befürchtete, dass ich nun seine Kinder anstecken könnte und bat mich daher ihn zu verlassen. Ich war also sowohl arbeits- als auch obdachlos. Ich fand Unterkunft, doch mir fiel es schwer eine Beschäftigung zu finden. Am Donnerstag vor Schawuot (Wochenfest, im Juni) bekam ich das Angebot von Herrn Schwarz (später Kolber-Schwarz), ob ich in seinem Warenhaus Schwarz als Lagerist arbeiten könne. Er wolle am nächsten Tag die Einzelheiten meiner Einstellung mit mir besprechen. Ich befand mich nun im Dilemma, da mir am selben Tag vom Arbeitsamt auch eine Arbeit für den nächsten Tag angeboten worden war: Straßenbau in Talpiot.

Ich löste das Problem, indem ich mich schon vor regulärem Arbeitsbeginn zur Baustelle begab und mit der Ausrede, ich hätte einen Zahnarzttermin, konnte ich zwischen 9 und 10 Uhr das Lagerhaus Schwarz aufsuchen, um dort längerfristige Anstellung zu finden. Das Gespräch endete erfolgreich, ich bekam Anstellung ab dem kommenden Montag. Da ich als Chaluz ins Land gekommen war, hatte ich nun ein schlechtes Gewissen, da ich statt auf dem Land im Geschäft in der Stadt arbeitete. Im Lagerhaus Schwarz (später Königsfeld) arbeitete ich einige Jahre als Lagerist und Verkäufer, zwischenzeitlich leitete ich sogar eine Filiale in Ge’ula.

Die Anfangsjahre in Palästina waren schon kompliziert. Ich war auf mich alleine gestellt und es dauerte auch etwas, die Sprache zu erlernen. Es wurde auch zum Teil Deutsch gesprochen, besonders später, während meiner Arbeit im Lagerhaus. Auch zu Beginn meiner Tätigkeit als Fensterputzer wurden die Geschäfte oft in deutscher Sprache abgewickelt.

Weder vor dem Krieg noch danach stellte meine Herkunft ein Problem dar. Ich bekam nie Anfeindungen zu spüren oder wurde als „Deutscher“ oder „Jecke“ bezeichnet. Zu Beginn meiner Zeit in Palästina schrieb ich jede Woche nach Hause, um den Kontakt mit meiner Familie aufrechtzuerhalten.
Im Jahr 1937 wurde ich Mitglied in der Haganah (Untergrundorganisation) und außer Übungen hatten wir auch Wachdienst. Die erste Wachgruppe wachte von 6 bis 9 Uhr, die zweite von 9 bis 12 Uhr. Jede Gruppe konnte sich drei Stunden ausruhen, um dann mit der zweiten Schicht zu beginnen. Einmal hatte ich ein Brot mit Margarine und Wurst mit mir und da Margarine zu jener Zeit nicht sehr populär war, sagte ein Chawär zu mir:
„Wenn du Wurst mit Butter isst, musst du auch keine Kippa tragen.“ Auch nach der nächtlichen Wache arbeitete ich am nächsten Tag wie gewöhnlich im Lagerhaus.

Ich hatte mich von meiner Schwester Irma in dem Bewusstsein verabschiedet, dass wir uns bald in Palästina wiedersehen würden, da sie für die Jugendalijah vorgesehen war. Doch kurz vor ihrem Abreisetermin, verzichtete sie auf ihr Visum, da sie es nicht verkraften konnte, die schwerkranke Frau Selling, welche sie pflegte, zu verlassen. Obwohl Frau Selling nach kurzer Zeit verstarb, bereute Irma nie, sie bis zum letzten Tag gepflegt zu haben. Über eine Bekannte bekam Irma dann eine Anstellung als Haushilfe in London. Es war ihr möglich, auch für die Schwestern Recha und Selma solch eine Anstellung zu finden, sodass alle drei kurz vor Kriegsausbruch Deutschland verließen. Ich versuchte, meinen Eltern ein Visum für Palästina zu verschaffen, um ihnen zu ermöglichen, nach Palästina zu emigrieren. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erklärte mir ein Zuständiger der englischen Regierung, welche von Zeit zu Zeit eine gewisse Zahl von Visa ausstellte, dass ich bei der letzten Vergabe nicht mehr berücksichtigt wurde, bei der nächsten jedoch unter den Ersten sei. Mit dem Ausbruch des Krieges wurde diese Hoffnung jedoch zerstört, meine Eltern konnten Deutschland nicht mehr verlassen, wurden in ein KZ in Osteuropa deportiert und dort ermordet. Ich konnte ihnen über Holland, wo das Schechten von Tieren erlaubt war, von Zeit zu Zeit ein Fleischpaket senden und auch meinen Geschwistern in England sendete ich Salatöl, welches in England sehr knapp war.

Als ich im Lagerhaus Schwarz Anstellung fand, kaufte ich mir ein Fahrrad, um zur Arbeit zu gelangen und mietete mit einem Bekannten ein Zimmer zur Untermiete in Kerem Avraham. Dieser verschaffte mir einen Nebenverdienst. Er war nämlich Teilhaber einer Bäckerei und ermöglichte mir, freitags in der Früh Chalot (spezielles Brot für den Schabbat) nach Rechavia zu liefern. Dort bekam ich zehn Piaster und ein kleines Chala.

Im Jahre 1939 verhängten die Engländer aufgrund der Unruhen eine curfew (Ausgangssperre) während der Nacht bis 7 Uhr morgens. Da die curfew lange Zeit währte, achtete auch ich dieses Verbot nicht. Als ich eines Freitags im Juli – morgens um 5 Uhr – zur Bäckerei fuhr, wurde ich von der englischen Polizei angehalten und da ich keinen curfew-Pass hatte, nahmen sie mich fest und brachten mich in die Wache in Mea She’arim.

Stundenlang hielt man mich in Polizeigewahrsam und als man mir dann das in arabischer Schrift verfasste Protokoll vorlegte und ich mich weigerte, es zu unterschreiben, da ich die arabische Schrift nicht lesen konnte, teilte man mir mit, dass sie Zeit hätten und dass ich mich bis zu meiner Unterschrift in Polizeigewahrsam befinden würde. Schließlich übersetzte man mir das Protokoll und ich unterschrieb es. Als man in der Bäckerei die Gründe meines Ausbleibens erfuhr, bat einer der Teilhaber bei der Polizei für meine Freilassung bis zum Prozess. Die Bitte wurde jedoch ohne Begründung abgelehnt. Als sie dann den Grundbesitzer der Bäckerei, Herrn Hausmann, baten, sein Glück zu versuchen und dieser für mein Erscheinen am Prozess bürgte, ließ man mich frei.
Einige Tage später fand mein Prozess vor Gericht statt, ich rechnete mit einer Strafe von etwa 50 Piastern, wie es damals üblich für solch ein Vergehen war. Ich war im Besitz von einem Pfund und unmittelbar vor meinem Prozess ließ ich mir dieses in Münzen wechseln. Doch zu meiner großen Überraschung und auch Bestürzung verurteilte mich der Richter zu drei Pfund oder wahlweise drei Tagen Haft. Drei Pfund war ein halbes Monatsgehalt und ich wusste nicht, wie ich dieses so kurzfristig aufbringen sollte. Der Polizist, welcher mich aus dem Gerichtssaal führte, fragte mich, ob ich über so viel Geld verfüge und als ich dies verneinte, sagte er mir, dass ich dann eben drei Tage Haft zu verbüßen habe. Ich plante, meinen Arbeitskollegen Daltrop anzurufen, um ihn um Hilfe zu bitten. Dieser brachte mir nach kurzer Zeit die gewünschte Summe und ich konnte dieses Kapitel endlich beenden.

Familiengründung

Im März 1940 mietete ich mich bei der Familie Sokolka in der Rechov Nechemia unter. In meiner Nachbarschaft lebte Meta, Tochter von Moses und Eugenia Tannenwald, wir lernten uns kennen, verlobten uns am 02. September 1940 und heirateten am 28. Oktober desselben Jahres. Die Hochzeit fand im Hof von Rabbi Posner, der auch die Trauung vornahm, statt und wir servierten Kekse und Saft. Im Haus der Eltern Metas fand das Hochzeitsessen statt, zu welchem ich ein Huhn erstanden hatte, mit dem engsten Bekanntenkreis. Da zu jener Zeit keiner über viel Geld verfügte und Blumen sehr günstig waren, bekamen wir so viele Blumen, dass wir sie in der Badewanne aufbewahren mussten. Von einer Cousine bekamen wir allerdings eine Kristallschüssel, welche sie aus Deutschland mitgebracht hatte, und von einer anderen Cousine sechs versilberte Teelöffel.

Meine Schwiegereltern hatten ein schönes Gemischtwarengeschäft besessen, kamen jedoch nach der Pogromnacht im Januar 1939 mittellos nach Palästina. Da mein Schwiegervater ausgebildeter Schneider war, arbeitete er hier als Flickschneider. Wir unterstützten sie zusätzlich, z.T. von dem Geld, das Meta als Haushaltshilfe verdiente. Nach kurzer Untermiete bei Familie Unger, mieteten wir uns ein Zimmer bei Familie Kanterowitz. Unser Zimmer war gleichzeitig unsere Küche und da es ein Ostzimmer war, war es im Sommer so heiß, dass wir feuchte Handtücher aufhingen, um es zu kühlen. Im Winter war es so kalt, dass die Wasserleitung einfror, sodass wir Schnee auf der Dochtmaschine auftauten, um Kaffee zu kochen.

Am 01. Juli 1942 bezogen wir gemeinsam mit dem Ehepaar Gotthelf Kahn, zu welchem wir ein freundschaftliches Verhältnis hatten, eine Wohnung in Sanhetria. Zur Zweizimmerwohnung gehörte eine kleine Küche und ein Badezimmer, welche allerdings nur über den Hof erreichbar war. Einige Meter von unserem Hof entfernt, befand sich der Wachturm der britischen Polizei, weshalb es nicht ratsam war, während der curfew nachts den Hof zu betreten. Deshalb spannte ich einen Vorhang so über den Hof, dass wir unsichtbar für die Polizei den Hof betreten konnten.

Am 28. November 1942 wurde unser erstes Kind, David, im Hospital Hadassa geboren. Seine Brit Mila fand bei uns in der Wohnung im engsten Familien- und Bekanntenkreis statt. Der Schwager Metas Cousine war der Mohel Alex Tachauer, welcher auch bei Henry Kissinger als Mohel fungiert hatte.
Unser Hausbesitzer war sehr unangenehm und wartete nur darauf, uns bei einem Übertreten des Mietvertrags zu erwischen und uns dann zu kündigen. Da es nur einen Elektrozähler gab, schloss die Miete die Kosten für Licht ein. Zu Beginn erlaubte er mir noch, meine Rasiermaschine gegen eine monatliche Gebühr von fünf Piastern zu benutzen, welche mehr als den Jahresverbrauch dieses Geräts deckte. Doch irgendwann verbot er mir, meine Maschine benutzen, weshalb ich mich bei meinen Schwiegereltern rasieren musste. Er verbot uns ebenfalls, ein elektrisches Bügeleisen zu benutzen, weshalb wir es heimlich taten. Da wir uns aber ständig in der Gefahr wussten, dass er uns erwischen und dann kündigen könne, ging ich zur Elektrizitätsgesellschaft, um einen separaten Zähler für uns installieren zu lassen. Eines Morgens kamen die Arbeiter der Elektrizitätsgesellschaft und installierten uns den Zähler. Als der Hausbesitzer dann erschien und drohte, das Kabel selbstständig zu entfernen, belehrte ihn der Vorarbeiter, dass er sich damit strafbar mache. Der Sohn jenes Vorarbeiters befindet sich heute im Kibbuz Javne, demselben, in welchem auch David wohnt. Nach der Geburt Davids besorgten wir uns einen kleinen Eisschrank, in dem wir die verderblichen Lebensmittel, wie Fleisch- und Fischprodukte, lagerten. Als ich David bei der Jugendorganisation Bnei Hakiwa anmelden wollte, meinen und den Namen Metas, was auf Hebräisch verstorben bedeutet, angab, machte die Beamtin einen Strich bei der Eintragung des Namens der Mutter. Ich klärte das Missverständnis auf – doch dieses Ereignis führte schlussendlich dazu, dass Meta ihren Namen in Miriam änderte.
Meta arbeitete neben ihrer Arbeit als Haushaltshilfe noch für ihre Cousine, welche die Bettwäsche eines Hotels am Toten Meer  nähte. Für die Arbeit, die Meta zu Hause mit Hilfe einer Nähmaschine hätte durchführen können, brauchten wir einen kleinen Motor, dafür allerdings das Einverständnis der englischen Behörden. Wir erhielten die Genehmigung im Jahr 1946.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges

Das Ende des Zweiten Weltkrieges habe ich mit großer Erleichterung wahrgenommen. Große Veränderungen spürte ich zwar nicht, die Versorgung mit Lebensmitteln war weiterhin schlecht. Ich hatte die Hoffnung, vielleicht doch noch etwas über den Verbleib meiner Eltern zu erfahren, welche sich jedoch nicht erfüllte. Unmittelbar nach Kriegsende war die Massenvernichtung der Juden noch nicht bekannt, wann genau dies bekannt wurde, weiß ich heute nicht mehr. Bis zur Staatsgründung Israels 1948 ließen die Engländer weiterhin nur eine geringe Zahl von Juden nach Palästina einwandern. Es kam sogar vor, dass sie Schiffe mit illegalen Transporten abwiesen und sie zwangen, direkt nach Mauritius weiterzufahren. Die Schwester meiner Frau befand sich auf solch einem illegalen Transport. Die Haganah wollte verhindern, dass die Engländer das Schiff nach Mauritius weiterleiteten und hatten eine Bombe auf das Schiff gebracht.

Die Sprengladung war jedoch zu groß und das Schiff schon sehr alt, sodass das Schiff nach der Sprengung sofort sank und etwa 200 Menschen, darunter auch die Schwester meiner Frau, ertranken.

Meta war die einzige der sechs Geschwister, welche den Nationalsozialismus überlebte. Sie konnte 1936 ins Land kommen und es gelang ihr auch, die Engländer davon zu überzeugen, dass sie mit ihrem angeblichen Vermögen ihre Eltern versorgen könne, sodass Moses und Eugenia Tannenwald ebenfalls nach Palästina emigrieren konnten. Zwei ihrer Schwestern und ein Bruder verstarben bereits in frühem Alter an Blinddarmentzündungen. Die älteste Schwester Metas, welche mit ihrem Mann Leon Cohen, der im Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte und im Laufe des Krieges verwundet worden war, und den gemeinsamen Kindern in Altona lebte, wurde am 20.7.1942 nebst Familie nach Theresienstadt deportiert und von dort am 28.10.1944 ins Vernichtungslager Auschwitz. Eine andere Schwester verstarb bei ihrer illegalen Einwanderung nach Palästina im Hafen Haifas – wie bereits erwähnt. Metas Mutter starb nach langer Krankheit im Jahre 1949, ihr Vater 1965. Beide liegen in Jerusalem begraben.
Am 25. November 1946 wurde Rahel geboren. Kurz zuvor waren wir in eine Neubauwohnung mit zwei Zimmern, von denen wir eines vermieteten, umgezogen. Da sich die Eltern Metas oft um David kümmerten, welche nur Deutsch sprachen, konnte David bis zu seinem Eintritt in den Kindergarten nur Deutsch sprechen. Erst dann erlernte er das Hebräische. Rahel hingegen ist eher mit dem Hebräischen groß geworden.

Am 31. Oktober 1947 verließ ich meine Arbeitsstelle als Lagerist und begann als fünftes Mitglied bei dem Fensterputzunternehmen Mahär weNaki (Schnell & Sauber). Um Mitglied zu werden, musste ich 500 Pfund zahlen und da meine Abfindung diesen Betrag nicht deckte, nahm ich Kredite bei Banken und Freunden auf, welche ich nach und nach zurückzahlte. Wir teilten die Aufträge untereinander auf und am Ende des Monats wurde auch das Geld gleichmäßig verteilt. Bedingt durch den Unabhängigkeitskrieg konnte ich zu jener Zeit nur unregelmäßig arbeiten, was auch das Zurückzahlen der Anleihen aufschob.
Staatsgründung Israels und Unabhängigkeitskrieg

Am 29. November 1947 beschloss die UN die Errichtung eines jüdischen Staats im Gebiet des damaligen Palästina. Wir feierten dies, doch schon am nächsten Tag gab es erste Opfer, als Araber Autobusse beschossen. Eine Siedlung am Hebron-Berg, Kfar Ezion, wurde ebenfalls beschossen, sodass alle Bewohner flohen oder sich ergaben, doch auch jene, die sich einen Tag vor der Staatsgründung Israels ergeben hatten, wurden ermordet, unter anderem auch der Vater meiner Schwiegertochter Hanna. Die Frauen und Kinder waren schon in ein Kloster evakuiert worden, so überlebte meine Schwiegertochter. Erst später wurden die Leichen zum Herzl-Berg gebracht.

Während des Unabhängigkeitskrieges war die Versorgungslage mit Nahrungsmitteln sehr schlecht. Bananen bekamen nur schwangere Frauen (ich versuchte einmal welche für Rahel zu bekommen und entging nur knapp einer Verhaftung), Eier wurden z.T. aus Syrien importiert, Äpfel gab es fast gar keine. Auch Kartoffeln waren sehr rar und daher sehr teuer – als Ersatz wurden Süßkartoffeln oder importiertes Kartoffelpulver verwendet. Wir hatten jedoch Glück, da wir von Freunden einen Sack mit 43kg Kartoffeln gesandt bekamen – und das mit der letzten Egged-Verbindung bevor Jerusalem vom Rest Israels abgeschnitten worden wurde. Fleisch, insbesondere Geflügel war streng rationiert. Als ich einmal bei meinem Onkel im Kibbuz Sfaim zu Besuch war, kaufte ich eine lebende Ente und beabsichtigte sie in einem Karton nach Jerusalem zu befördern. Während ich an der Busstation Tel-Aviv stand und auf den Bus wartete, wurde ich von einem Kontrolleur nach dem Inhalt des Pakets gefragt. Ich antwortete, dass sich darin levanim befänden – da levanim zum Einen Unterwäsche, zum Anderen aber auch weiß bedeutet, war dies nicht einmal gelogen. Bevor ich meine Antwort vollständig losgeworden war, erschien hinter mir ein Mann, der zwei mit Pergament bedeckte Emailleeimer trug. Diese wurden damals insbesondere für die Lagerung und den Transport von Eiern verwendet, welche ebenfalls nicht frei verkäuflich waren. Daraufhin geriet der Kontrolleur mit jenem Mann in eine Diskussion und ich konnte die sich bietende Gelegenheit nutzen und entfernte mich von ihnen. Die Ente verzehrten wir zwei Wochen später, an Rosch HaSchana.

Am 22. Februar 1948 hörte ich morgens im Radio, dass in der Rechov Ben Yehuda eine Bombe explodiert sei, die großen Sach- und Personenschaden angerichtet habe. Als Mitglied der Haganah fühlte ich mich verpflichtet, dort umgehend hinzufahren, um Hilfe leisten zu können. An der Unglücksstelle angekommen, meldete ich mich bei meinem Haganahvorgesetzten Herr Freund, welcher über ein kleines Waffenversteck in seinem Fotogeschäft ganz in der Nähe verfügte. Da die Gefahr bestand, dass die Engländer die Waffen aufspürten, transportierten wir die Waffen zu einem neuen und sicheren Versteck. Zu jener Zeit leistete ich ziemlich oft Wachdienst, meistens in Sanhetria; die Waffen lagerten wir in den Blechformen in einer Eisfabrik, sofern sie nicht im Gebrauch waren. Am letzten Pessachtag wurde die Pakisiedlung in Sanhedria mit Granaten beschossen, dabei wurde ein Kind getötet.
Einige Stunden später sollte meine Schmirah (Wache) in jener Siedlung beginnen und da sich die Pakisiedlung in der Nähe unserer Wohnung befand, bat Meta mich, bei der Familie zu bleiben. Mein Gewissen ließ es mir jedoch nicht zu, und so begann ich pünktlich meinen Dienst.  Zu dieser Zeit konnte ich aufgrund des Kriegszustandes kaum noch meiner Arbeit als Fensterputzer nachgehen.

Die Zeit vor der Ausrufung des israelischen Staates war schon durch einen Kriegszustand im Land gekennzeichnet. Eines Tages wurden wir zum Mount Scopus gebracht und da der arabische Stadtteil Cer Tscharah kurz zuvor von der jüdischen Untergrundorganisation Ezel erobert worden war, konnten wir problemlos durch den Stadtteil zum Scopus gefahren werden. Meta wusste lange Zeit nicht, wo ich mich befand, fand es jedoch schließlich über einen Cousin, welcher bei der Polizei arbeitete und unser Lager anfunkte, heraus. Nach einigen Tagen konnten die Araber unter Führung britischer Polizei den Stadtteil zurückerobern und nachdem Jerusalem von der Außenwelt abgeschnitten war, waren wir auch von diesem isoliert. Um uns herum existierten nur die arabischen Stellungen. Wir waren im Besitz einiger verschiedenartiger Gewehre und zweier Granatwerfer – leider war die Munition jedoch knapp.

Als man versuchte, uns diese per Fallschirm zuzusenden, landete ein Teil auf dem britischen Militärfriedhof, welcher für uns zugänglich war, der andere allerdings auf arabischem Gebiet. Mit dem Hauptquartier der Haganah konnten wir nur Kontakt halten, wenn Strom und Generator eingeschaltet waren. Es existierte eine Verbindung durch Morsen, und später Postverbindung durch das Rote Kreuz. Außerdem bekam jeder einmal die Möglichkeit, eine halbe Stunde seine Familie mit Hilfe eines Fernglases zu sehen. Meta und ich verabredeten uns per Post und sie stand dann mit David und Rahel außerhalb des Hauses in der Nechemiastraße. Da die Sicht und die Ferngläser sehr gut waren, konnte ich sogar sehen, dass Meta rote Schuhe trug. Zu jener Zeit herrschte in Jerusalem zwar Waffenruhe, dies galt allerdings nicht für den Mount Scopus. Wenn man sich tagsüber im Freien befand, bestand die Gefahr, dass man vom Augusta-Victoria-Krankenhaus oder vom Givat HaZarfatit beschossen wurde.
Als die dem Scopus umliegenden Dörfer Kfar Ivri und Atarot von den Arabern besetzt wurden, mussten die Bewohner flüchten und so kamen sie zu uns. Mit unseren Ferngläsern konnten wir sehen, wie die Araber die Viehbestände plünderten. Einer der Geflüchteten, Shimon Bodenheimer, war ein Schechter und da sich von Zeit und Zeit sich die Möglichkeit ergab, ein Schaf oder Kalb zu erwerben, schechtete er dies und wir hatten nun auch Fleisch zu essen. Einige der Flüchtlinge waren verwundet und so war es ihnen erlaubt den Scopus mit Hilfe des Roten Kreuzes zu verlassen. Alle außer ebenjenem Shimon Bodenheimer machten von dieser Möglichkeit Gebrauch – mit der Begründung, dass wenn er ginge, wir überhaupt keine Möglichkeit zum Verzehr von Fleisch hätten. Wir waren ihm aufgrund seines Entschlusses, die eigene Gesundheit für das Wohl der Allgemeinheit zu riskieren, sehr dankbar. Nach Verhandlungen mit dem Roten Kreuz konnten wir schließlich – nach zwei Monaten – den Mount Scopus verlassen.

Die Bewachung dieser Stellung wurde von nun an durch Soldaten, welche aber als Polizisten galten, in Schichten geregelt. Alle zwei Wochen wurden die Schichten gewechselt.
Nachdem wir als Haganahgruppe zum Mount Scopus gekommen waren und inzwischen der Staat Israel sowie die israelische Armee (Zahal) gegründet worden waren, wurden wir unmittelbar nach unserer Ankunft als Mitglieder der Zahal eingeschworen. Zurück bei der Familie, freute sich besonders der fünfeinhalbjährige David mich wieder zu sehen, wohingegen die eineinhalbjährige Rahel vor Angst zu weinen begann; sie erkannte mich nicht wieder.

Während meiner Abwesenheit (zwei Monate) war die Sicherheitslage, speziell in unserem Wohnviertel Machanaim, so riskant geworden, dass Meta, nachdem sie aufgefordert worden war, unsere Wohnung zu verlassen, mit den Kindern diese verließ und zu ihren Eltern in die Nechemiastraße flüchtete. Ich konnte nur einen Tag zu Hause bleiben, den ich nutzte, um ein Fenster im Haus mit Sandsäcken zu sichern.
Am gleichen Tag kam jemand aus Tel Aviv und bot uns einen Kanister mit 20l Petroleum an – allerdings zum Zehnfachen des normalen Preises, weshalb ich sein Angebot ablehnte. Meta war nicht zufrieden mit meiner Reaktion, da sie während meiner Abwesenheit oft stundenlang für kleine Mengen Petroleum hatte warten müssen (manchmal sogar ohne Erfolg), sodass ihr Vater dem Händler hinterherlief und das Petroleum erwarb. Da der Waffenstillstand innerhalb Jerusalems endete, hatte ich mich am nächsten Tag wieder bei Zahal zu stellen. Meine nächste Station war der Mount Zion, welcher kurz zuvor von der Armee erobert worden war. Von unserer Basis, in der heutigen Rechov SchlomZion HaMalca, brauchten wir stundenlang zum Mount Zion. Einer der Soldaten behauptete, er kenne den Weg dorthin, führte uns jedoch unmittelbar an arabischen Stellungen vorbei und schließlich zu einem falschen Eingang des Lagers. Die Wache, die uns nicht zu dieser Zeit und nicht an diesem Eingang erwartete, sah in uns eine feindliche Truppe und feuerte eine Handgranate in unsere Richtung, von der einer der Soldaten verwundet wurde. Bevor sie die zweite Handgranate zündeten, bemerkten sie den Irrtum glücklicherweise.

Leben und Arbeit in Jerusalem nach dem Unabhängigkeitskrieg

Im Frühjahr 1949, mit dem Ende des Unabhängigkeitskrieges, wurde ich vom Militär entlassen, musste jedoch jährlich einen Monat Wehrdienst leisten.
Zur Arbeit fuhr ich mit dem Fahrrad, bis ich mir 1950 ein Motorrad kaufte, und aus Sanhedria oder Machanaim kommend, musste ich einen steilen Anstieg bewältigen. Ab und zu konnte ich mich aber mit dem Fahrrad an den mit Pottasche beladenen Lastwagen, welche vom Jam HaMelach kamen, anhängen.
In den Jahren nach der Staatsgründung war die Lebensmittelversorgung ziemlich schlecht.
Manchmal bekamen wir von amerikanischen Verwandten so genannte care-Pakete zugeschickt, welche die Situation etwas erträglicher machten. Erst in den Jahren 1952/53 besserte sich die Lage mit Hilfe von  Zuteilungskarten. Allerdings konnte man auch zu jener Zeit nicht alle Produkte auf dem freien Markt erhalten. Als sich die Lage besserte und wir unseren Verwandten eröffneten, dass wir ihre Hilfe nun nicht mehr benötigten, erzählten sie uns, dass wir die Ersten seien, die von sich aus auf die Hilfe verzichteten.
Anfang der 50er Jahre kam eine Cousine Metas, Clara Meyerfeld, aus den USA zu Besuch. Die beiden besuchten die Stadt Ramataim, um dort eine Familie mit etwa $20 zu unterstützen. Doch als sie den luxuriösen Lebensstil der Familie bemerkten, entschied Clara, die Unterstützung zurückzuziehen, da sie wusste, dass die amerikanische Familie sich jenes Geld vom Mund absparte.
Anfang der 50er Jahre bekam ich meinen Anteil aus dem Verkauf unseres Hauses in Niedermockstadt. Von dem Erlös, 454 Mark, bezahlten wir eine Kochplatte und ihre Installation. Soweit ich mich erinnere, waren wir zu jener Zeit, die erste Familie in unserem Haus, die mit Gas kochte.
1958 erwarben wir eine Wohnung in der Rechov Harav Berlin; in dieser Wohnung wohne ich auch noch heute. Außerdem begab ich mich damals auf eine Europareise mit dem Zweck des Wiedersehens mit meinen Schwestern.

Ich traf mich mit meiner Schwester Irma in München und zusammen besuchten wir auch Niedermockstadt.
Wir besuchten die Weltausstellung in Brüssel und durch Vermittlung des Touristenbüros lernten wir eine Familie kennen, welche Irma ein Zimmer in der Stadt vermietete. Die Kommunikation untereinander war jedoch stark erschwert, da die Familie nur Französisch und Flämisch sprach, Irma hingegen Deutsch und Englisch. Allerdings konnte die Vermieterin Jiddisch sprechen – worüber wir sehr erstaunt waren. Sie hatte einer jüdischen Familie während des Krieges ein Versteck geboten und von dieser das Jiddische erlernt. Ich hatte keine Probleme mich zurück nach Deutschland zu begeben. Meiner Frau hingegen fiel es sehr schwer in das Haus ihrer Kindheit einzutreten. Als wir Niedermockstadt besuchten, wurden wir zwar freundlich empfangen und bewirtet, man gestattete uns jedoch nicht, unser einstige Haus zu betreten. Warum, ist mir unklar.

David besuchte nach der Schule noch eine Technische Schule, dann wurde er zum Militär eingezogen. Er arbeitete zunächst bei der Luftwaffe, konnte aufgrund von Farbenblindheit nicht als Flieger ausgebildet werden. Seine Zukünftige lernte er in einer Jugendgruppe kennen, welche sie zusammen leiteten. Am 18. Juni 1963 heiratete David Hanna Hor, die beiden leben seitdem im Kibbuz Javne. Einen Tag nach meinem 50. Geburtstag wurde unsere erste Enkelin Einat geboren. Heute arbeitet David in dem Kibbuz in einer kleinen Legebatterie.
Rahel arbeitet als Hebamme in Netanya. Im hiesigen Krankenhaus wurde sie als Schwester ausgebildet und nahm danach an einem staatlichen Kurs für Hebammen teil. Während des Kurses war sie u.a. in Safed stationiert, wo der Chefarzt sie beeinflusste, mit in das neu eröffnende Krankenhaus in Netanya zu kommen. Er konnte bei der Behörde, welche den Kurs Rahels finanzierte, die Erlaubnis für Rahels Umstationierung bekommen. Also richtete Rahel den Kreißsaal im neuen Krankenhaus ein und ist heute die Chefhebamme dort.

Im Jahre 1969 etablierte sich eine Reihe von Haganahmitgliedern als eine freiwillige Polizei. Auch ich gehörte dazu und leistete jeden Mittwoch Dienst bis zum Jahre 1999; bei meinem Ausscheiden bekam ich eine Medaille für mein langjähriges Engagement. Auch während des Jom-Kippur-Krieges war ich für einige Tage im Dienst. Besonders zu jener Zeit fühlten wir uns alles andere als sicher und empfanden unsere Existenz als stark bedroht. Zur Zeit des Jom-Kippur-Krieges wurden viele Soldaten plötzlich verlegt und hatten nicht die Zeit Gebetsriemen mitzunehmen. Ich konnte 28 Paar Gebetsriemen für sie sammeln, welche ich dem Religionsministerium übergab. 1979 verkaufte ich mein Motorrad und kaufte mir ein Auto, welches ich 1994 meiner Tochter Rahel übergab.

Älter werden in Jerusalem

Ungefähr 1990 lösten wir unsere Fensterputzgemeinschaft auf. Inzwischen waren wir nur noch zu dritt und wir teilten unsere Kunden untereinander auf. Heute ist mein Kundenkreis sehr klein, doch bin ich nach wie vor froh, diese Arbeit noch ausführen zu können. Im Zuge von ärztlichen Untersuchungen in den letzten Jahren bei einem Herzspezialisten, erfuhr ich, dass ich mich mit dem Gedanken einer Herzoperation vertraut machen müsse. Im Sommer 2005 verschlechterte sich mein Zustand, sodass ich mit David und Rahel einen Spezialisten aufsuchte. Dieser informierte mich ob der Notwendigkeit einer Operation. Ich willigte ein und meine Operation fand am 28. August 2005 statt (69 Jahre nach meiner Abreise in Richtung Palästina). Kurze Zeit später bekam ich einen Herzschrittmacher, aufgrund erneuerter Schwierigkeiten. Obwohl ich nach den beiden Eingriffen lange Zeit nicht arbeiten konnte, blieben mir alle meine Kunden treu. Metas Zustand war ebenfalls schlecht, sie war lange Zeit bettlägerig und oftmals sogar im Krankenhaus, wo sie am 13. Dezember 2005 verstarb. Nach Metas Tod fragte David mich, ob ich in ein Elternheim oder zu ihm ins Kibbuz Javne ziehen wolle. Ich verneinte beides, da ich in meiner Wohnung leben möchte solange es möglich ist und mich an das Leben in Jerusalem gewöhnt habe. Bei der Ankunft in Palästina erschien mir das Leben im Kibbuz noch als Lebensziel; nun bin ich in der Stadt glücklich geworden.
Im Dezember 2006 besuchte mich ein Journalist der Zeitung Kol HaSman, welcher einen Bericht über meine Erlebnisse seit meiner Einwanderung und über meinen jetzigen Beruf als Fensterputzer verfasste. Ebenjener Journalist war der Enkel des Direktors Heimann der Barclay’s Bank, mit welchem ich im Jahre 1938 äußerst gute Erfahrungen gemacht hatte. Wie bereits erwähnt, benötigte mein Bruder Leopold ein Visum für Siam, um aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen zu werden. Zunächst ging ich zur heutigen Bank Leumi, wo ich allerdings abgewiesen wurde. Bei der Barclay’s Bank wurde ich jedoch freundlich empfangen und Herr Heimann kümmerte sich um meine Belange und regelte die Angelegenheit persönlich.
Aufgrund jenes Berichtes und einem Erscheinen im Fernsehen am Unabhängigkeitstag im Mai 2007 wurde ich sehr oft von Bekannten und weniger Bekannten angesprochen.
Im Zuge einer Europareise vor einigen Jahren besuchten wir den jüdischen Friedhof Nördlingens, auf welchem Metas Großeltern begraben waren. Zu unserer Überraschung fanden wir jedoch nur den Grabstein des Großvaters, weshalb wir das Unternehmen Löffler beauftragten, auch einen für die Großmutter herzustellen. Da wir mit der Arbeit des Unternehmens sehr zufrieden waren, beauftragten wir es ebenfalls, auch die Gräber meiner Großeltern in Niedermockstadt und Höchst sowie die Metas Verwandter zu erneuern. Wir ließen die hebräische Schrift in die schwarzen Granitplatten in Israel eingravieren und schickten sie per Luftfracht nach Deutschland, da man hier die Gelegenheit hatte, den Text zu kontrollieren und es im Preis sogar günstiger war.

Bilanz

Wenn ich heute auf mein bisheriges Leben zurückblicke, bin ich schon sehr zufrieden. Ich bin stolz auf meine Kinder, die sehr auf mein Wohl bedacht sind (sogar mehr als nötig), um mir das Leben zu erleichtern. Ich habe auch viel Freude an meinen Enkeln und Urenkeln, die ich oft sehe aufgrund gegenseitiger Besuche. Ich denke nicht, dass ich während meines Lebens große Fehler gemacht habe und bereue nicht, dass ich zu dem geworden bin, der ich heute bin. Hätte ich nochmals die gleichen Entscheidungen zu treffen, würde ich genau so handeln, wie ich es während meines Lebens tat.

כתיבת תגובה

האימייל לא יוצג באתר. שדות החובה מסומנים *

Search
Generic filters
דילוג לתוכן